Krieg und Frieden

Auf einmal reden alle vom Krieg. Oder anders: Alle reden über den Krieg -und über den Frieden, der bedroht ist. Anscheinend sind wir plötzlich aufgewacht, aufgewacht aus einer Illusion, die uns vorgaukelte: seit dem letzten Weltkrieg ist die Welt friedvoller und sicherer geworden. Dass dafür aber nur ein riesiges Arsenal von Waffen (mit der Welt ein Ende bereitenden Atombomben!) hüben wie drüben dafür gesorgt hat, das haben wir zwar gewusst, aber wir haben es verdrängt und nicht wirklich wahrhaben wollen. Es handelte sich eher um einen sogenannten Waffenstillstand. Ein tatsächlicher Friede sieht anders aus.
Allein die vielen Kriege, die uns nicht direkt betroffen haben in Afrika, Asien, im ehemaligen Jugoslawien, um nur einige zu nennen, zeigen uns ein ganz anderes Bild und sprechen eine deutliche und schreckliche Sprache.
Man glaubte, man könne mit „Wandel durch Handel“ den Frieden befördern. Die Realität hat uns inzwischen eingeholt und uns auf den Boden der Tatsachen zurückgebombt. Auch hier haben wir uns etwas vorgemacht, weil es für uns lange Zeit „gut ging“.
Immanuel Kant schreibt in seinem philosophischen Entwurf Zum ewigen Frieden: „Der Krieg bedarf keines besonderen Beweggrundes. Er scheint auf die menschliche Natur aufgepfropft zu sein.“ Also: „Es kann an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden und immer weiter ausbreitenden Bundes treten.“ Will heißen, ein Weltfrieden ist reine Illusion, aufgrund der „rechtscheuenden, feindseligen Neigung“ des Menschen. Nur ein Bund, der anerkennt, dass die beständige Gefahr eines Kriegsausbruchs besteht, könne diesen abwehren. Wandel durch Handel hat hier letztlich versagt, ging und geht es dabei doch in erster Linie darum, die Macht des Geldes zu befördern. Den Frieden befördert man dadurch nicht.
Politik und Diplomatie zwar haben „Bünde“ geschlossen, müssen aber weitere, besonders aber anders geartete schließen, um zu verhindern, dass wiederum Machtgruppen oder wie zurzeit auch nur mächtige Einzelne Kriege vorbereiten und die Bemühungen um die Sicherung des Friedens zerbomben.
Alle reden über den Krieg und über den Frieden. Man muss sich aber auch tatsächlich offen und realistisch damit beschäftigen und sich nicht Illusionen hingeben. Sich in eine Wohlfühlscheinwelt zurückziehen, die einem vorgaukelt, Frieden sei gegeben, ist fatal.

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Manuel: Mutti, bei uns ist kein Krieg. Wir haben Frieden.
Aber was ich wissen möchte, wo kommt denn der Frieden her?
Kandida: Ja, wenn ich das wüsste. Er ist einfach da.
Manuel: Haben wir also nur Glück gehabt?
Kandida: Naja Glück, ich weiß nicht. Wir haben halt Menschen, die sich für den Frieden einsetzen.
Zum Beispiel unsere Politiker.
Manuel
: Und wie machen die das?
Kandida
: Nun ja, eigentlich machen sie das, indem sie zeigen, dass, wenn andere sie angreifen wollen, sie die stärkeren sind.
Manuel: Dann drohen sie mit Panzern und Raketen und Bomben?
Kandida
: Letztendlich stimmt das schon.
Manuel: Aber das ist doch kein richtiger Friede, wenn überall Raketen aufeinander zeigen, das heißt doch nur, dass man sich gerade nicht beschießt, es aber gleich losgehen könnte.
Kandida: Du hast recht. Und so tut man das schon seit dem Ende des letzten Krieges, also seit ungefähr 70 Jahren. Und irgendwie hat es auch funktioniert.
Manuel
: Aber was ist dann mit den Kriegen, die zwar nicht bei uns, aber sonst in der Welt stattgefunden haben oder gerade stattfinden? Da klappt das ja nicht, in Afrika oder in Ländern, die gar nicht so weit weg sind von uns. Haben die denn so viele Gewehre und Raketen und so? Die müssten doch irgendwann verbraucht sein.
Kandida: Leider nicht, denn es gibt Länder, die viele Waffen bauen und sie in die Länder verkaufen, wo Krieg herrscht oder wo Politiker meinen, sie müssten diese Waffen unbedingt besitzen.
Manuel
: Gehören wir auch dazu?
Kandida: Ja, und unsere Firmen, die diese Waffen herstellen, machen sehr viel Geld damit, und viele Menschen arbeiten dort, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Manuel: Dann haben wir also auch irgendwie Schuld an den Kriegen, die stattfinden? Das macht mich traurig. Kann man denn gar nichts dagegen tun?
Kandida: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, dass Kriegsgedanken oder der Gedanke „Ich bin der Stärkere, ich kann mir nehmen, was ich will“ auch ein Teil der Natur des Menschen ist. Das haben wir verdrängt und gedacht, es ist kein Krieg bei uns, also haben wir ja schon alles für den Frieden getan. Und jetzt müssen wir in den Nachrichten sehen, dass das gar nicht stimmt. Wir haben uns da nur etwas vorgemacht, denn der Krieg ist ganz nah.
Manuel: Aber kann man denn da gar nichts ändern? Bei uns in der Familie kommen wir ja auch gut miteinander aus, obwohl es manchmal ganz schön kracht.
Kandida: Ja, da hast du recht. Aber wir versuchen, auf den anderen zu achten, ihn zu respektieren, auf ihn Rücksicht nehmen und sich auch ein Stück verantwortlich zu fühlen, wie es dem anderen geht. Man könnte auch sagen, wir verhalten uns so, dass, wenn dies eine allgemeine Regel wäre, wir sie akzeptieren würden und gut damit leben könnten.
Manuel
: Dann liegt es ja an jedem Einzelnen, dass ein Stück Frieden in die Welt kommt.
Kandida: Genau Manuel. Und dazu muss ein jeder auch mit sich selbst im Reinen sein und ein Stück weit mit sich selbst in Frieden leben.    
Manuel: Das hört sich schön an. Aber wie geht denn das?
Kandida: Wenn ich dir das nur so einfach beantworten könnte. Ich denke, das muss jeder für sich wissen. Vielleicht muss man mehr auf die Natur hören, vielleicht einen Draht zu Gott entwickeln oder viele Texte von weisen Menschen lesen. Auf alle Fälle könnte man damit anfangen, öfter mal zur Ruhe zu kommen, ehrliche Gespräche mit anderen zu führen, sich nicht als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten und sich auch nicht so zu benehmen, sondern sich als einen Teil der Schöpfung zu begreifen. Diese Einstellung kann man auch Demut nennen.
Manuel: Das verstehe ich. Könnten das nicht alle so machen?
Kandida: Ich glaube, das ist eine Illusion. Wenn uns das schon in unserer Familie nicht leichtfällt, wie sollte das bei einer großen Menschenmenge funktionieren oder ganzen Ländern und Nationen.
Ich meine, da sollten feste Regeln her, nach denen man sich zu richten hätte. Aber die will natürlich nicht jeder akzeptieren, denn wie schon gesagt, jeder ist erst mal auf seinen eigenen Vorteil aus und betrachtet schnell den anderen als Feind.
Manuel: Kann denn da gar nichts helfen?
Kandida: Ich glaube, gegen die menschliche Natur kann man nicht wirklich etwas unternehmen. Warum auch. Wir sind so, wie wir sind. Und wir Menschen haben ja auch wundervolle Dinge vollbracht. Vielleicht müsste man aber, so ähnlich wie in unserer Familie, auch im Großen Bünde schließen, die immer darauf bedacht sind, Kriege abzuwehren. Bünde mit Abmachungen, die verhindern, dass Einzelne beschließen, andere zu überfallen, zu töten und auszurauben. Und die nicht erlauben, dass Mächtige das zerbomben, was ein Menschenrecht ist, nämlich ein Leben in Frieden und in Freiheit.
Manuel: Also ist der Frieden nicht einfach da, sondern man muss sich immer wieder um ihn bemühen. Im Kleinen wie im Großen. Das hört sich nach viel Arbeit an, aber eigentlich ist das der einzige Weg.

(Erwin Schaffer)